Irrtümlich wird der fließende Raum mit dem Beginn der Moderne in Verbindung gebracht. Aber bereits im antiken Griechenland wurden Tempel als reine Säulenkonstruktionen ohne definierte Wände erbaut. Säulen dienten als eine Art Filter zwischen dem Außen- und Innenraum. Hier sollte auch zwischen der Welt der Menschen und der Sphäre der Götter vermittelt werden. Der eigentliche Raum, die Cella, war eher untergeordnet.
Die Moderne hat gestalterisch die stark geschlossenen Räume des vorhergehenden Jahrhunderts wieder aufgebrochen und für eine erneute Form der Vermittlung zwischen den diversen Innen- und Außenräumen gesorgt. Die Auflösung der Ecke (Mies van der Rohe) und das kartesische Raumsystem (de Stijl) sorgten dafür, dass der Raum frei wahrnehmbar wurde. Durch die Auflösung fester Bestandteile von Bauten und der nachfolgenden Reduzierung auf wesentliche Teile wurden Räume frei miteinander verbunden (Open Plan). Genutzt wurde dieses für elegante Raumgefüge neuer Art und als eine Form der Befreiung von überkommenen, hierarchischen Raumgefügen. Dieses wurde auch als Ausdruck der veränderten sozialen Realitäten gedeutet.
In Bürobauten spiegelt der fließende Raum die ökonomischen Zusammenhänge der neu entstandenen Massenkultur wieder. Offene Arbeitszellen und Großraumbüros zeigen die Vernetzung der modernen Arbeitswelt. Diese hat in seiner konsequenten Weiterführung dann zu räumlichen Aufhebungen, wie Homeoffice und flexible Arbeitsbereiche geführt.
Im Städtebau lieferte die Charta von Athen in den 20er Jahren die Richtlinien zur Auflösung der alten städtischen Blockstrukturen. Frei aufgestellte Wohntürme wurden nun von grünem Gartenraum umflossen. Jeder Bewohner von Großstädten sollte so Zugang zur gesunden Natur erhalten. Mittlerweile sind diese Ideen zum Teil verworfen worden. Der Mensch scheint ein räumliches Wesen zu sein, der gefasste Räume den frei fließenden bevorzugt.

© Fritz Geller-Grimm